Schlammspritzvorrichtung für ÖKK - Spot 2022
Vorrichtung, Prototyp für mechanische Effekte
Shining pictures beauftragten mich, eine Schlammspritzvorrichtung zu bauen. Der Regisseur Stevan Treshow übermittelte die Skizze einer Velorad-Spritzmaschine, auf die er stolz zu sein schien. Er dachte, man könne einfach ein Velorad mit einem Elektromotor rasch drehen lassen und in ein Becken mit Schlamm senken – schon läuft die Sache.
Die Geschichte: Man sieht ein Paar Offroad-Biker, die Frau überholt den Mann, fährt durch irgendeine Pfütze und der Mann wird tüchtig mit Schlamm eingespritzt. Alles als One-Take, alles in Fahrt: Die Biker natürlich, die Schlammspritzmaschine und auch die Kamera.
Also war schon mal klar, dass die Spritzvorrichtung nicht sehr voluminös ausfallen durfte..
Ich habe eigens für solche Zwecke seit Jahren Rohr-Spritzvorrichtungen, wo man verschiedenes Material von unterschiedlicher Viskosität einfüllen und durch einen Luftstoss relativ weit und auch relativ gezielt spritzen kann. Ich habe das für Wasser-Splashes oder für Blut, das während eines Mordes herumspritzen sollte verwendet. Aber das wollte der Regisseur explizit überhaupt nicht. Er wollte seine Maschine haben. Hier muss auch erwähnt sein: Das Budget, wie üblich, war nicht sehr luxuriös.
Bei Fahrradbau Stolz fand ich ein altes Kindervelo, welches mir brauchbar erschien. Um erste Versuche zu machen musste ich bereits ein funktionierendes Gerät bauen. (Ich hatte auch ein Weilchen herumgeforscht, ob sich ein Elektrovelo-Antriebsrad finden liesse – was tatsächlich angeboten wurde, aber immer ohne Garantie und defekt. Ein neues kostet wiederum sehr viel Geld, zudem sind meist bürstenlose Motoren eingebaut, welche eine spezielle Steuerung benötigen, dass sie laufen. Man hätte ein komplettes Elektrovelo kaufen müssen..
Zudem: Ein Fahrrad fährt langsamer, als sich das Rad fürs Schlamm-Schleudern drehen musste.
Also suchte ich in meinem Fundus nach einem geeigneten Motor mit Schneckenradgetriebe und brauchbarem Kraft/Drehgeschwindigkeitsverhältnis. Die ersten Versuche machte ich mit einem etwas kleineren Motor, den ich dafür mehrfach habe - also notfalls einen Ersatz hätte.
Bis 30 V war die Geschwindigkeit zu langsam, ich nahm ein Netzgerät, das bis zu 60 V liefern konnte. Die ersten Versuche waren, wie erwartet, nicht berauschend. Das System mit dem Eintauchen des Rades funktionierte bloss bei sehr wässerigem Spritzmaterial. Ab einem gewissen Anteil Schlamm im Wasser setzte sich dieser unten ab und wurde nicht mitgerissen. Wenn der Schlamm homogen vermischt wurde, machte sich das Rad eine Schlammfreie Kerbe, danach wurde überhaupt nichts mehr mitgerissen. Die Idee vom Regisseur funktionierte meinen Erwartungen entsprechend.
Ich überlegte weiter: Ein zweites Schutzblech kam unten hinzu, um den Schlammbehälter möglichst nahe an den drehenden Reifen zu bekommen. Auch das funktionierte nicht: Es spritzte nur schon deswegen nicht, weil ich den Motor nicht einfach einschalten konnte, sondern langsam hochfahren musste. Für einen starken Drehstrommotor hatte ich auf der Alp und auf der fahrenden Plattform schlicht weder Platz noch Strom, und mein bereits ziemlich starker Motor war gleichwohl nahe an der Überforderung,
deshalb das langsame Hochfahren bis zur richtigen Geschwindigkeit. Beim Hochfahren würde der Schlamm schon rausgeschafft, ohne zu spritzen.
Als Lösung fiel mir ein, den Schlamm seitlich von oben über Speichen und Felge hineinzugiessen - und das funktionierte endlich.
Bis dahin dachte ich, ich würde auf irgendeiner Plattform zusammen mit meiner Maschine sitzen und dann verschoben werden, während ich seitlich genau soviel Schlamm eingiessen würde, wie gebraucht und sogar dosieren könnte.. Und ebenfalls die Maschine seitlich ausrichten, um den Velofahrer wirklich zu treffen!
Weil: Man muss ja mit dem schwerfälligen Teil auch noch zielen! Was mit dem Luftspritzrohr sehr einfach ist – wird mit der Vorrichtung enorm schwierig. Deshalb wurde auch beim Dreh meist mehr Schlamm auf den Operator des Cinebikes geschleudert, als auf den Protagonisten.. Ricardo nahm das aber zum Glück nicht übel..
Ich wusste auch trotz wachsender Neugier noch immer nichts über den Ort, wo der Dreh sein würde. Ich hörte, es sei nicht zu hügelig dort. Mir fiel mein Seitenwagenvelo ein, womit man vielleicht den Schlammspritzer mitsamt mir drauf befördern könnte. Ich hatte immer noch meine gespaltene Kniescheibe, konnte also nicht Velofahren. Zunächst fand das Seitenwagenvelo Beifall – aber dann doch nicht mehr. Bis zum Tag vor dem Dreh: Mittags wurde ich angerufen, ich solle das Seitenwagevelo bereitstellen. Kaum hatte ich es heruntergenommen und zusammengeschraubt – kam ein Anruf, dass es nun doch nicht nötig sei..
Währenddem ich die Spritzmaschine entwickelte sollte ich pausenlos neue Spritztests machen und filmen – die mich jedesmal Stunden kosteten, weil ich ja den Schlamm wieder wegputzen musste. A propos Schlamm: Ich zögerte keinen Moment sondern kaufte gleich für die ersten Versuche Modellierton. Ton ist wasserverdünnbar, klebrig und sieht aus wie Schlamm. Leider gabs bei Boesner, wo ich einkaufte, keinen dunkeln normalen, bloss hellen schamottierten Ton, welcher bereits gebrannte Tonbrösel drin hat, also eher sandig ist und nicht sehr klebrig. Haftet weder am Velorad noch am angespritzten Objekt - worum es ja ging bei der Sache.. Aber der dunkle normale Modellierton bewährte sich sehr.
Stevan fragte mich bei der ersten und einzigen Videokonferenz, die wir nach etwa einer Woche hatten, ob ich schon an Torfmull als Schlamm gedacht hätte? Nun, nein, das wäre mir nicht eingefallen, da Torf ja trocken-bröselig ist und sich kaum mit Wasser mischen lässt. Als er später noch vorschlug, Blumenerde zu verwenden kaufte ich im Bauhaus, wo ich so viel Modellierton einkaufte, dass die Bastelabteilung ausverkauft war, einen kleinen Sack Erde: Und zwar vegane Erde. Das war der einzig kleine Sack, den ich fand – vermutlich teuer und ich hab wieder etwas gelernt. Ich werde künftig vegane Erde essen..
Nun, die Erde mischte ich in kleinen Portionen ins Lehm-Wasser-Gemisch, sie störte nicht und brachte auch nichts.
Ich war mit dem Bau des Gerätes sehr beschäftigt: Die Pedalkurbeln haben konische 4-Kantaufnahme beim Tretlager, da lässt sich nicht so einfach ein zylindrischer gedrehter Übergang zum Motor herstellen. Zuerst machte ich einen Übergang vom 4-Kant ausgehend – um am Ende zu merken, dass das Tretlager des Kindervelos einen Schlag hatte, also leicht eierte. Merkt man beim Treten nicht, aber der Motor wackelt dann zu stark. Die erste Versuchs-Übertragung mit Gummielementen zerriss schon bei den paar Versuchen um ein Haar..
Ich überwand das Problem, indem ich ein neues Tretlager auf der einen Seite überdrehte und einbaute – dann ging es. Die Kettenschaltung konnte ich noch etwas mit einer Stellschraube verstellen, das war mir wichtig, weil unter Umständen was verändert werden musste an der Übersetzung der Kette. Zum Glück: Später beim Dreh zeigte sich, dass die Madenschrauben sich bei der Beanspruchung trotz Locktite lösten. Ich konnte in einen leichteren Gang schalten, den Motor dafür schneller drehen lassen und den Schlamm wieder etwas mehr verdünnen, dann hielten die Schrauben bis zuletzt..
Bei den Vorversuchen lernte ich, welches Gemisch ungefähr ideal sein würde. Ich realisierte auch, dass ich eine(n) Assistent(i)en brauchen würde. Julia Morf konnte im letzten Moment dann doch nicht, empfahl mir aber Oli Bucher, mit dem die Zusammenarbeit eine grosse Freude war! Wir luden mein Auto randvoll, ich nahm leere blaue Fässer mit Deckel mit – weil es dort oben es kein Wasser geben würde.
Nach einigem Überlegen lud ich auch meinen Sackrolli ein, dachte noch, das sei vielleicht übertrieben. Wir kamen in Parpan abends an, es gab Nachtessen, dann erfuhren wir, dass am nächsten Morgen halb fünf Frühstück wäre..
(Vorher hatte man mir sogar gesagt, mein Einsatz käme erst am frühen Nachmittag..)
Wir füllten abends noch das 75Liter- und das 30Literfass mit Wasser und luden sie ein. Morgens fuhren wir hoch, ich voraus, weil ich mir dachte, es sei vorteilhaft, gleich alles Material ungehindert hochzubringen – ich wusste, dass die letzten ca. 500 Meter zu Fuss zu machen wären. Beim Bergrestaurant Jochalp luden wir aus und dann gings steil bergan. Der Sackrolli erwies sich als eine bitter notwendige Sache, vor allem beim grossen Wasserfass. Und mein Knie machte gut mit – es tat eigentlich nicht weh, zum Glück.
Oli machte sich gleich ans Anmischen des Schlamms, mit Akkuschrauber und Rührlöffel. Ich baute die Vorrichtung auf einen Skaterdolly, positionierte den grossen Festo-Akku, der den nötigen Strom lieferte fürs Netzgerät, das dann den Motor speiste. Den Akku hatte ich beim Filmtechnikerkollektiv kennengelernt und gemietet.
Juri der Grip konnte nicht gleichzeitig den Dolly schieben und den Schlamm einkippen, also musste Max einspringen und die Schlammkippe ziehen.
Selbstverständlich war der One-Take anspruchsvoll: Nicht nur für die Velo- und Camerabikefahrer, die eine genaue Choreographie fahren mussten, auch für Grip und Schlammzieher. Wie gesagt: Den meisten Schlamm bekam der Cinebikefahrer Ricardo ab.
Da ich zwei gefüllte Lufttanks mitgebracht hatte wie auch ein Luft-Spritzrohr schlug ich das vor, um zusammen mit dem Veloradspritzer hinzukriegen, dass dem Protagonisten gezielt Schlamm ins Gesicht gespritzt werden konnte. Einen Versuch machten wir so, er schien geklappt zu haben, ausser dem Regisseur waren alle begeistert. Dann probierten wir es noch wie gehabt, bis wir aufhören mussten, weil sonst die Lastwagenfahrer zu lange auf den Beinen gewesen wären und nicht mehr hätten heimfahren dürfen.. Aber es waren offenbar sehr brauchbare Takes gemacht worden, wie ich hörte.. Bisher habe ich den Film noch nicht zu Gesicht bekommen.
Oli und ich räumten unser ganzes Gerümpel wieder zum Restaurant hinunter, wuschen den Schlamm so gut es ging vom Gerät ab, dann fuhren wir heim – nach einem Dreizehnstundentag auf dem Berg. Dazu noch zwei Stunden mehr für die Heimfahrt. Und zuhause am nächsten Tag kam das General-Schlammputzen. Wie ich hörte, auch bei den FTK – die Schienen und der Dolly waren ebenso schlammverkrustet. Vom Cinebike mit Fahrer ganz zu schweigen.
Oli Bucher, Julia Morf
2022