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Symposium Kunst in Pilsen "Winged Arrow" 1994

Freie Kunst in Pilsen

1993 vermittelte mir ein Künstler-Bekannter die Teilnahme an einem Kunstsymposium in Pilsen, Tschechien.

Pro Helvetia schickte Künstler hin, die willkommen waren – weil Pro Helvetia einen guten finanziellen Zustupf leistete, denke ich mir. 


Es klang wie das Paradies für mich:

Zwei Wochen durfte man dort aus Stahl schweissen, was einem einfiel. Zuerst, vernahm ich, gingen alle auf den örtlichen Schrottplatz, Material auszuwählen. Wohin ging ich denn lieber? 

Ich fühlte mich wie ein gut orthodoxer Katholik, der die Aussicht hatte, nach Rom eingeladen zu werden wo er in den Devotionalienläden freien Zugriff auf alles haben würde.. Gut, der Papst fehlte in Pilsen – dafür gabs die Brauerei!


Ich packte meinen Schweisshelm ein, kaufte auf der Zwischenstation München, wo ich bei den Freunden übernachtete, eine Seitenschneidezange auf dem Flohmarkt, die ich zufällig fand, nebst meiner ersten russischen Armbanduhr..


Die Münchner hatten mir versichert, man würde bloss die Identitätskarte brauchen für den Grenzübertritt, also hatte ich meinen abgelaufenen Pass zuhause gelassen. Beim Übergangsort Furth im Walde sagten mir dann die deutschen Zollbeamten, ich könne gleich umkehren ohne Pass. Die Schweizer – da die von den Tschechen ein Visum verlangten – müssten den Pass zeigen. ID reiche nicht.


Nun gut, ich fühlte mich mässig wohl, beschloss aber, weiterzufahren. Zeigte den tschechischen Beamten meine ID, die nickten und gingen weiter. Ich atmete auf. Da kamen nochmals welche, etwas anders gekleidet: Das waren die Zollbeamten, die ersten bloss Polizei.. Und die sagten: «Passaporte!» Worauf ich auf Deutsch und auf Englisch versuchte, mich zu erklären. Ich zeigte auch meine Einladung ans Symposium in Pilsen. 

Einer sagte zum anderen etwas, was wie «Schmarrnisymposium» klang.. Dann gaben sie mir die ID zurück und gingen weiter – ich durfte weiterfahren. 

Eine Weile dachte ich darüber nach, wie sich die Schweizer Grenzer in derselben Situation benommen hätten und schämte mich.


Als nächstes kam die Bahnbeamtin, wollte den Schnellzug-Zuschlag, von dem ich nichts gewusst hatte. Ich wollte eigentlich erst tschechische Kronen in Pilsen wechseln.. Gut, sie wollte nicht einmal ein Schweizer Fünffrankenstück annehmen, obwohl das etwa fünfmal den Zuschlag ausgemacht hätte.. Sie schenkte ihn mir einfach. Ich dachte nun auch darüber nach, wie sich Schweizer Bahnbeamte gewöhnlich benehmen und hatte jetzt bereits eine sehr hohe Meinung von der Freundlichkeit der Tschechen!


Ich wurde auch sehr freundlich von den Organisatoren des Anlasses empfangen, es gab 13 Künstler, drei aus der Schweiz, zehn aus Tschechien, Deutschland und Oesterreich. Eine Übersetzerin war meist dabei, aber auch Honsa, der eine tschechische Künstler, konnte ein wenig Deutsch.


Am ersten Tag – wahrhaftig! – gings auf den Schrottplatz. Man konnte auswählen und einen Haufen machen, der dann von einem Transporteur mit einem uralten Lastwagen aufs Gelände der Skoda-Werke gebracht wurde, wo wir in einer Lehrlingswerkstatt arbeiten durften.

Nun, mir war klar, dass ich die paar herrlichen Schrottstücke, die ich sah, leider nicht heimnehmen konnte später, also schaute ich die Bohrer von 15 cm Durchmesser, die wie die kleinen auch aussahen, bloss mit tränenfeuchten Augen an..


Wir sahen uns auch die Skoda-Werke an, die sind vergleichbar mit den ABB-Werken in Oerlikon, bauen nicht die Autos, sondern Lokomotiven, Turbinen - grosse Maschinen.


Danach gabs Arbeit, ich hatte eine MAG-Schweissmaschine zur Verfügung, die einiges stärker war, als meine zuhause. Ich merkte das bei Gelegenheit: Als ich die grossen Stücke zusammenschweissen wollte, also den Stromstärke-Knopf hochdrehte.  Mir schmolz nach kürzester Zeit beinahe das Handstück in meiner Hand.. Woraus ich schloss, dass man höhere Ampèrestärken wohl nur mit wassergekühltem Handstück, das nicht vorhanden war, bewältigen konnte. Ich wurde vorsichtiger. An der Maschine gab es keine Angaben über Ampère oder ähnlich. Man musste einfach schätzen: So und so muss es stehen..


Was ich bauen wollte, war einfach: Eine zufällig nach Gefühl gestaltete Skulptur, welche Pendelbewegungen machen konnte, wenn man sie anstiess, dann rollten Kugeln in ihren Käfigen hin und her. Dabei sollten sie wenn möglich Chaotische Bewegungen erzeugen. 

Eine Stahlkugel hatte ich gefunden, eine zweite musste wesentlich leichter sein, also kaufte ich in der Stadt zwei Suppenkellen, trennte die Handstücke davon ab und schweisste sie zu einer Kugel zusammen.

Da mir die Farbe wichtig war, kaufte ich in einem Mal-Hobbyladen einen kleinen Satz Ölfarben, damit ich das Ding am Ende bemalen konnte.


Währenddessen wurden wir immer wieder in der Umgebung herumgefahren, um z.B. ein wunderbares Schloss Kozel – was Ziegenbock heisse – anzuschauen. Wo ich sah, dass der jeweilige Fürst im Zimmer schlief, während der Diener eine Art Halb-Vorzimmer hatte,  zwar durch eine Wand abgetrennt, die aber einen halben Meter von der Decke aufhörte. Da war auch der Ofen, den er bedienen musste. Also ist zu hoffen, dass weder der Herr noch der Diener starke Schnarcher waren..


Einmal fuhren wir auch nach Karlsbad, wo der berühmte tschechische Likör Becherovka herkommt. Der ist klebrig süss. Da gab es eine Kirche, welche wir besuchten, in der Gruft war ein Kasten, worin etwas undefinierbares zu sehen war. Honsa versuchte zu übersetzen und sagte nach einer Weile: «Es gibt – getrocknetes Mensch..» Es war eine Heiligenreliquie..


Die Landschaft war beeindruckend schön. In der Nähe gab es einen kleinen See, den mein Zimmernachbar entdeckt hatte. Da fuhr er uns oft zum Baden hin. In der Mitte des Sees sah ich, dass da Leute im braunen Wasser herumstanden, fast wie Jesusse. Ich schwamm hin und merkte, dass da unter Wasser eine Fast-Insel war, ein Berg im See, der die Oberfläche nicht zu durchstossen vermochte..


In Pilsen kostete damals übrigens eine Pizza umgerechnet zwei Franken. Die war zwar nicht ganz so gut, wie bei uns. Hingegen die Tschechische Küche gefiel mir. Warmer Käse zum Dessert.. 

Klopapier musste man im Restaurant durch ein winziges Fensterchen einem Mann, der da sass, abkaufen..


Auch nach Prag fuhren wir einmal – mein erster Besuch im Osten bot viel. Eine Ausstellung war zu besuchen, typische Gerichte zu essen: Kurz, es ging uns hervorragend.


Das pikante Detail bei allem war: Ich bin just ein paar Monate vor dem Symposium zuckerkrank geworden. Mein neu in mein Leben getretener Doktor meinte, als ich ihm davon erzählte und sagte, dass ich da wohl leider nicht teilnehmen können würde, weil ich mich nämlich erst an die Krankheit gewöhnen müsse: «Nein, da gehen sie ruhig hin, Sie lernen da gerade, dass es nicht so schlimm ist!» Was ich tat, und so hatte ich meine ersten Unterzuckerungen in Pilsen.


Und die Brauerei gingen wir uns natürlich auch anschauen, das Bier, kann ich sagen, schmeckte.


Die Skulptur liess ich dort. Ich habe keine Ahnung, wie lange sie wo genau herumstand..


Die ersten Bilder stammen aus dem Katalog, die haben die Fotografen gemacht, welche das Symposium und die Kulturfahrten überhaupt organisiert hatten. Das haben sie erfolgreich getan! 


Die andern Bilder sind von mir, teils auf bereits abgelaufenem 6x7 Diafilm..

1994

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